Die Oysterquartz ist eine Uhr mit einer besonderen Historie – sie ist ein Relikt aus der Zeit der Quarzuhrenkrise. Die Schweizer Uhrenindustrie perfektionierte ihre mechanischen Uhrwerke bis weit in die 60er Jahre immer mehr. Es wurde immer weiter die Robustheit und die Ganggenauigkeit gesteigert, so dass man eine aufkommende neue Technik nicht wahrnahm bzw. auch gar nicht wahrnehmen wollte.
Hersteller wie beispielsweise Seiko arbeiteten zu der Zeit bereits intensiv an einem neuen Uhrwerk, das über einen Quarz getaktet wurde. Hierdurch wurden bisher nicht gekannte Ganggenauigkeiten erreicht und das Uhrwerk war durch eine Batterie fast wartungsfrei, da die Batterie das Uhrwerk über ein Jahr lang mit Energie versorgte.
Die zunächst extrem teure Technik wurde Anfang der 70er Jahre massentauglich und verhalf mit der neuen Präzision, einem modernen Look wie einer LED- bzw. später LCD-Digitalanzeige und neuen Möglichkeiten und den Quarzuhren zu einem echten Hype. Wer erinnert sich nicht an die kultigen Casio Uhren mit Taschenrechner, die fast jeder haben wollte. Die klassischen mechanischen Uhren waren plötzlich altbacken, unmodern und wurden von den Käufern kaum mehr gefragt.
Eine existenzbedrohende Krise der klassischen Uhrenindustrie nahm so ihren Anfang. Viele namhafte Unternehmen, gerade in der Schweiz, gingen in Konkurs und die Zahl der Beschäftigten in der traditionellen Uhrenbranche sank massiv. Von ursprünglich 90.000 Arbeitsplätzen in der Schweiz blieben ein paar Jahre später noch 30.000. Firmen, die sich dieser Entwicklung verweigerten oder die Entwicklungskosten nicht tragen konnten, verschwanden während der Quarzkrise.
In dieser Zeit sah sich auch Rolex genötigt, mit der Tradition zu brechen und mit einem Quarz-Modell auf den Markt zu kommen. Ende 1977 war die Geburtsstunde der Rolex Oysterquartz.
Kundenkatalog 1977*: Erstmalig wird die Oysterquartz im Kundenkatalog gezeigt. Zu der Zeit sind die Ref. 17000 und Ref. 17013 noch keine Chronometer. Die Ref. 17014 und auch die diversen Varianten der Goldversionen sind noch nicht im Programm.
Rolex Oysterquartz Ref. 17000, gekauft 2005
Im Gegensatz zu vielen anderen Herstellern blieb Rolex aber seiner Linie treu und verbaute in der Oysterquartz ein hauseigenes Quarzwerk. Experten halten das Rolex Quarzwerk für eines der Besten, das jemals mit Batterie gebaut wurde.
Kundenkatalog 1986*: Besonders zu erwähnen ist hier das Zifferblatt der „Pyramiden“-Version 19028, da es sich um die nur kurz gebaute und heutzutage sehr seltene Version mit „Pyramiden“-Indices handelt.
Die Oysterquartz wurde in folgenden Versionen angeboten:
Händlerkatalog 1993*: Auszug aus dem Händlerkatalog von 1993 mit dem vollen Programm der Oysterquartz.
In der Oysterquartz Datejust tickt das Werk 5035, in der Oysterquartz Day-Date das Werk 5055. Das interessante daran ist, dass Rolex hier sich aus dem hauseigenen Baukasten bediente und die Mechanik des Automatikwerks 3035 zu großen Teilen für das Werk 5035 übernahm. Diese Mechanik war bereits in vielen anderen Rolex- Modellen wie Submariner und Datejust eingesetzt und wurde mit der Elektronik und dem Schrittmotor ergänzt. Vorteile dieser Vorgehensweise waren die extreme wartungsfreundlich und langlebig der neuen Oysterquartz-Werks.
Eine weitere Besonderheit betrifft das Werk 5035 der Oysterquartz Datejust. Während das Werk 5055 für die Day-Date immer Chronometer-zertifiziert wurde, wurden die 5035 erst ab 1981 Chronometer-zertifiziert. Der Beginn der Zertifizierung ging mit einer kleinen Werksoptimierung einher. Hierbei wurde der im Oszillatorschaltkreis verwendete Quarzkristall in eine Stimmgabelform geändert. Die Werke mit dem Quarzkristall in Stimmgabelform werden Mark II-Werke genannt, die „alten“ Werke ohne Zertifizierung Mark I-Werke.
Das Gehäuse unterschied sich optisch stark von den klassischen Rolex Gehäusen, auch wenn die klassischen Merkmale einer Rolex wie eine (feste) Lünette, ein verschraubter Gehäuseboden und eine verschraubte Krone für optimale Wasserdichtigkeit nicht fehlten. Auch das Armband war ein Oysterband mit Faltschließe, was aber auch komplett überarbeitet wurde und optisch mehr ins kantigere und mit starken Fasen versehene Gehäuse integriert wurde. Die Oysterquartz Datejust in Weißgold und Gelbgold kam hingegen immer mit einem optisch an das Jubilee-Band erinnernde Armband, die Oysterquartz Day-Date in Weißgold und Gelbgold mit einem an das Präsidentband erinnernden Armband.
Scharfe Kanten an einer Rolex Oysterquartz (ungetragen)
Die Oysterquartz war so robust konstruiert, dass sie dem Ruf einer Rolex nach einer „Toolwatch“ alle Ehre machte. Sie wurde sogar auf einigen Expeditionen getragen: Im Mai 1978 beispielsweise bestieg Reinhold Messner zusammen mit Peter Habeler den Gipfel des Mount Everest. Das fast unmögliches Unterfangen, aber ihnen gelang als ersten Menschen überhaupt die ohne die Verwendung von zusätzlichem Sauerstoff. Mit an Messners Arm – die Rolex Oysterquartz, die selbst den harten Bedingungen trotzte und auch auf über 8.000 Metern und eisiger Kälte einwandfrei funktionierte.
Hier zwei Bilder von Reinhold Messner mit seiner Oysterquartz auf 7300 m (24.000 Fuß) und Peter Habeler auf dem Mount Everest, ebenfalls mit seiner Oysterquartz:
Reinhold Messner und Peter Habeler
Zwei Oysterquartz-Anzeigen von Rolex zur Besteigung des Mount Everest.
Und auch einige Prominente zeigten sich mit der Rolex Oysterquartz, wie Lorin Maazel, Musikdirektor des New York Philharmonic Orchestra mit seiner Oysterquartz Day-Date.
Nach einer langen Durststrecke begann das Ende der Quarzkrise ca. 1983 durch die Fusion der beiden stark angeschlagenen Unternehmen ASUAG (Allgemeine Schweizerische Uhrenindustrie AG) und die SSIH (Société Suisse de l’Industrie Horlogère), vorangetrieben durch den Insolvenzverwalter Nicolas Hayek. Nicolas Hayek, Gründer und langjähriger Präsident der späteren Swatch Group, erkannte bereits damals das Potential einer hochautomatisierten Produktion von Uhrwerken, suchte nach Einsparmöglichkeiten, in dem er die Anzahl der notwendigen Bauteile einer Swatch von 125 Teilen auf 51 Teile reduzierte und hatte mit der Idee einer modischen Uhr wie der Swatch die richtige Idee zur richtigen Zeit, um den gesamten Schweizer Uhrenmarkt wieder nachhaltig zu beleben und zu stärken.
Mit sinkenden Preisen für Quarzuhren und der damit verbundenen breiten Verfügbarkeit stieg gleichzeitig auch wieder das Interesse an der klassischen mechanischen Uhr. Gerade im Premium- und Luxussektor wusste man plötzlich wieder die hochpräzise Fertigung der mechanischen Uhrwerke zu schätzen und war auch wieder bereit, mehr Geld für diese Kunstwerke „mit echter Seele“ zu zahlen. Mit diesen Uhren konnte man sich wieder von der breiten Masse absetzen und die Schwachstellen wie die nicht ganz so präzise Ganggenauigkeit und die im Vergleich kurze Gangreserve wurden wieder akzeptiert.
Rolex Oysterquartz Booklets
Die Anzahl der verkauften Quarzuhren im Premiumsegment brach entsprechend ein. Matthias aus dem R-L-X-Forum fand mit einer Recherche heraus, dass 2001 Rolex von 762.174 Uhrwerken insgesamt nur noch 573 Quarzwerke Chronometer zertifizieren ließ, was 0,075% der Uhren entspricht. Und auch in den Jahren davor lag die jährliche Anzahl der Rolex-COSC-Quarzzertifikate unter 1.000 Stück, also geschätzt unter 0,15%. Das führte dazu, dass die letzten Zertifikate 2001 beantragt und ausgestellt wurden und die Oysterquartz schlussendlich eingestellt wurde. Aus den Katalogen verschwanden 2002 die Stahlversion und 2004 auch die anderen Modelle. Die letzte Fertigung der Oysterquartz bei Rolex dürfte aber in 2002 erfolgt sein, da keine Uhren nach der K-Serie bekannt sind. Die angeblich bereits fertiggestellte neue Generation an Quarzwerken mit den Kalibern 5335 und 5355 kam auf Grund der sehr niedrigen noch verkauften Stückzahlen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen nie zum Serieneinsatz.
Mittlerweile ist die Oysterquartz eine Rarität. Man sieht sie kaum irgendwo am Handgelenk und sie wird recht selten angeboten. Gute, unpolierte Exemplare sind kaum mehr zu bekommen. Die Gehäuseform mit den scharfen Kanten und Fasen verändert sich durch ausgiebiges Tragen mehr als bei den klassischen Modellen und die Kanten runden sich stark ab. Dieses Phänomen wird noch verstärkt, wenn die Uhr unfachmännisch poliert wird. So ein abgerundetes Gehäuse verliert sehr viel vom Charme der ursprünglichen Oysterquartz und lässt sich kaum bzw. gar nicht wiederherstellen. Daher sollte beim Kauf einer Oysterquartz besonders auf den Zustand von Gehäuse und Band geachtet werden. Auch sollte man beachten, dass die Revision einer Oysterquartz teuer werden kann. Muss der E-Block getauscht werden, liegt der Preis einer Revision schnell bei 1500 Euro (Stand 2017) und drüber.
Trotzdem sind die Oysterquartz aus meiner Sicht derzeit deutlich unterbewertet (Stand 2017). Man erhält eine extrem robuste Uhr mit einem fantastischen (Quarz-)Werk, die nur eine recht kurze Zeit hergestellt wurde und das auch in vergleichsweise geringen Stückzahlen. Es wird vermutet, dass die Oysterquartz modellübergreifend überhaupt nur ca. 25.000-mal gebaut wurde. Das Gehäuse der Oysterquartz ist wirklich hübsch und ist nicht an jeder Ecke zu sehen. Kurzum: Man bekommt extrem viel Uhr für das Geld. Wer also Interesse hat, sollte noch schnell zuschlagen, es lohnt sich derzeit (noch).
Nachfolgend einige interessante Scans* aus der internen Zeitschrift für Konzessionäre “Die Oyster” mit technischen Informationen und Verkaufsargumenten zur Oysterquartz (Ausgabe Nr. 3/78 vom Dezember 1978):
Abschließend noch die Spezifikationen der verbauten Uhrwerke 5035 und 5055:
Kaliber Caliber | 5035 | 5055 |
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Eingesetzt in Used for | Rolex Oysterquartz Datejust | Rolex Oysterquartz Day-Date |
Modul Module | 32,768Hz VCTCXO Quartz | 32,768Hz VCTCXO Quartz |
Funktionen Functions | Hour, Minute, Second, Date Stunde, Minute, Zentralsekunde, Datum | Hour, Minute, Second, Date, Day Stunde, Minute, Zentralsekunde, Datum, Wochentag |
Chronometer | COSC (erst ab/from 1981) | COSC |
Integrierter Schaltkreis Integrated circuit | CMOS | CMOS |
Temperaturkompensation Temperature compensation | ✓ | Temperature compensation |
Batterie Power source | UCAR 357 silveroxide, 1.55v | UCAR 357 silveroxide battery, 1.55v |
Durchmesser Width | 29,75 mm | 29.75mm |
Höhe Height | 6,5 mm | 7,1 mm |
Anzahl Steine No. of jewels | 11 | 11 |
Antimagnetisch Antimagnetic | ✓ (1000 Oersted) | Yes, to 1000 Oersted |
Hack-Funktion Hacking | ✓ | Yes |
Datum-Schnellverstellung Quick set date | ✓ | Yes |
* Die Scans der Kataloge und der Zeitschrift wurden zur Verfügung gestellt von Prof. Rolex/Matthias aus dem RLX-Forum. VIELEN DANK!